Pflege wird zum Stadtgespräch

Siegburg den 05.April 2018:  Bei seinem Auftritt in der WDR5 Sendung -Stadtgespräch– erklärte der künftige Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, das  Thema Pflege aus der Tabuzone herausholen zu wollen. Gut 100 interessierte und  betroffene Bürger*innen aus dem Raum Siegburg, waren dem Aufruf des WDR5, zum Austausch über Probleme und Lösungen der Pflege, gefolgt.  Auf dem Podium saßen: Andreas Westerfellhaus, der künftige Pflegebeauftragte, Dr. Guido Heuel von der Katholischen Hochschule NRW,  Adelheid von Stösser, Pflegeethik Initiative Deutschland  und Nicole Düppenbecker, Gründerin von Senioren-WGs in Siegburg.   Unter der Moderation von Thomas Koch und Angelika Becker  wurden eine Stunde lang Erfahrungen und Meinungen ausgetauscht. Als sich alle warm gelaufen hatten, war dann die Zeit leider schon um. Im Ergebnis kann positiv hervorgehoben werden, dass Pflege an diesem Abend  ein Stadtgespräch war.  Typische Probleme wurden offen ausgesprochen, mögliche Gründe und Lösungsansätze in den Raum geworfen. Für eine Vertiefung blieb keine Zeit.  Der uns zentral erscheinende Ansatz der Prävention sollte unbedingt an anderer Stelle erörtert werden.

Viele waren vermutlich gekommen, um den erst vor wenigen Tagen von Gesundheitsminister Spahn berufenen Pflegebevollmächtigten, bei seinem wohl ersten Auftritt zu erleben.  Wir dürfen gespannt sein, wie sich Andreas Westerfellhaus im festgezurrten,  deutschen Pflegenetz drehen und winden wird.  Bisher kannte man ihn nur als  Funktionär und Interessensvertreter der beruflich Pflegenden.   Wie kaum ein anderer setzte sich Westerfellhaus für das umstrittene Pflegeberufegesetz ein. Nach seinem Amtsantritt als Pflegebevollmächtigtem dürfte die Einrichtung einer Bundes-Pflegekammer auf seiner Prioritätenliste ganz oben stehen.   Dabei bezeugt doch gerade seine Ernennung in dieses politische Amt, dass es keiner Kammer braucht, um die Interessen der Pflegezunft politisch wirksam vertreten zu können.   Schon in seiner achtjährigen Ehrenamts-Funktion  als Präsident des Deutschen Pflegerates, konnte Westerfellhaus stets unmittelbaren Einfluss auf die Pflegepolitik in Berlin nehmen. Offenbar hat er dabei einen guten Eindruck bei Jens Spahn hinterlassen.

Wenngleich es kaum vorstellbar erscheint,  dass  jemand der sich sein Berufsleben lang ausschließlich als Vertreter der beruflichen Pflege verstanden hat,  mit dem neuen Amt der gesamtgesellschaftlichen  Dimension Pflege gerecht werden kann,  konnte Westerfellhaus  bei seinem Auftritt in Siegeburg zumindest glaubhaft machen, dass er sich  das vorgenommen hat.    Es hatte den Anschein, als habe er sich, vorbereitend auf die Sendung und das Zusammentreffen mit der Vertreterin der Pflegeethik Initiative,  auf  unseren  Internetseiten informiert.  Die Argumentation im Beitrag „Pflegende Angehörige werden  ausgenutzt„, insbesondere der dort verlinkten Tatort und Bericht in der SZ, über die Renditen auf dem Pflegeheimsektor, waren ihm bekannt.

Von strukturellen Menschenwürdeverletzungen spricht  Adelheid von Stösser und erklärt dies am Beispiel der Nachtdienstbesetzung.  Wenn bundesweit im Durchschnitt  nur eine Nachtwache für 50 und mehr hilfebedürftige Pflegeheimbewohner eingesetzt wird,  handelt es sich um eine geduldete und politisch mit verschuldete Regelung, die nur deshalb überhaupt möglich ist, weil es üblich ist, die Alten und Kranken medikamentös an diese Verwahrsituation anzupassen.   Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist das die gängige Praxis in deutschen Heimen. Auf Krankenhäuser kamen wir nicht zu sprechen. Dort ist der Umgang mit den „verwirrten Alten“ allerdings nicht besser.
Während diese Einschätzung mehrheitliche Zustimmung fand, meldeten sich Einzelne, um eine Lanze für die engagierten Pflegenden und gute Heime zu brechen, die ihr Besten geben.   Welches Heim wirklich empfehlenswert sind, muss jedoch jeder selbst herausfinden.  Auf die Selbstdarstellung ist dabei ebensowenig Verlass, wie auf Noten und Zertifikate.   Wichtig wäre, so von Stösser, künftig darauf zu achten, dass nur nachweislich geeignete, gute  Heime Pflegekräfte ausbilden.  Denn wer seine praktische  Pflegeausbildung in einem Heim absolviert, in dem er hauptsächlich lernt wie es nicht gemacht werden sollte, wird als Fachkraft selten etwas besseres praktizieren.  Es gibt erhebliche Qualitätsunterschiede bei den Fachleuten, und diese spiegeln sich in den Heimen wieder.

Beachtenswert auch die Beiträge  von Dr. Guido Heuel, Katholischen Hochschule NRW.  Heuel sieht ebenfalls strukturelle Ursachen und verweist auf die  Auswirkung der politisch gewollten Privatisierung, also auf  Investoren, die Milliarden einstreichen.  „Würde das Geld, welches in diese Kanäle fließt, für den Ausbau alternativer Hilfestrukturen verwendet, wäre allen geholfen“, hätte man  an der Stelle  ergänzen wollen.   Hervorzuheben ist zudem seine Kritik an der Rolle der Kassen bzw. des MDK als Kontrollinstanz.   Der Einfluss der Kassen auf das Regelwerk und die Ergebnisse ist in der Tat ein Problem das  viel stärker in den Blick genommen werden müsste.    Erwähnenswert hier auch der Beitrag eines Herrn aus dem Publikum, der darauf hinwies, dass beim Medizinischen Dienst der Kassen  (MDK) geschätzt 10.000 bis 20.000 Pflegefachkräfte in Lohn und Brot stehen. Qualifizierte Pflegekräfte, die hauptsächlich damit beschäftigt damit,  im Auftrag der Krankenversicherung dafür zu sorgen, möglichst wenig Versicherungsleistungen ausschütten zu müssen.  Warum werden die 8.000 zusätzlichen Stellen, die seitens der Regierung versprochen wurden, nicht aus dem MDK Pool gewonnen?

Negative Erfahrungen mit den Kassen waren auch ein Thema für  Nicole Düppenbecker, die vierte auf dem Podium.  Ihre schlechten Erfahrungen mit Altenheimen, haben die Altenpflegerin nach Alternativen suchen lassen. So gründete sie  in Siegburg zwei Pflege-WGs, in denen 6-8  pflegebedürftige, rund um die Uhr in einer menschlich warmen, familiären Atmosphäre betreut würden.  Gefragt nach den größten Hindernissen, die ihr in den Weg gelegt wurden, nannte Frau Düppenbecker spontan die Kassen.  Es sei bis heute ein ständiger Kampf, erklärte sie.   Wer die Zusammenhänge kennt, weiß, dass die monatlichen Kosten in einer Pflege-WG nur dann soviel geringer sein können, wie im geschilderten Falle, wenn es gelingt, die für ambulante Pflege vorgesehenen Versicherungsleistungen in vollem Umfang  für alle Bewohner zu erhalten. Was viele jedoch nicht bedenken, ist die Mentalität  der Kassen (abhängig von der jeweiligen Leitung).  Wie auch bei anderen Versicherungen muss sich der Antragsteller oft mit den unsinnigsten bürokratischen Hürden herumplagen, bevor er Geld sieht.   Viele geben den zermürbenden Kampf auf und verzichten lieber auf eine Höhergruppierung oder anderes.  Eine Hinhalte-Strategie, die sich für die Versicherung rechnet.   Hier dürfte selbst eine Idealistin wie  Frau Düppenbecker,  das ein oder andere Mal vor einem Interessenkonflikt stehen und geneigt sein, den Pflegebedarf der Bewohner möglichst hoch zu schreiben.

Auch dieser hier nur angedeutete Kreislauf erzeugt eine Negativspirale, welche Angehörige und Pflegebedürftige zu Bittstellern macht und Unzufriedenheit bei allen Beteiligten erzeugt.  Ganz zu schweigen von dem unsinnigen Bürokratismus, den wir in einem ursächlichen Zusammenhang sehen, mit den Prüfverfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit und  Pflegenoten.  Über letzteres wurde in der Sendung nicht gesprochen.

Wie Eingangs erwähnt, war die Zeit zu kurz um tiefer und umfassender auf die schwierige Lage einzugehen.  Wünschenswert wäre, wenn das Thema Pflege in jeder deutschen Stadt  zum Stadtgespräch würde.   Denn jeder dritte  Haushalt ist statistisch gesehen bereits betroffen und es werden immer mehr. Dabei sollten Kommunalpolitiker nicht darauf warten, bis das Bundesgesundheitsministerium oder die Landesministerien passende Lösungen auf den Weg bringen.  Jede Bürgermeisterin, jeder Bürgermeister sollte das Thema zur Chefsache machen und gemeinsam mit engagierten Bürger*innen und Vereinen, Mittel und Wege finden.   Wir sind alle aufgerufen uns dieser Herausforderung zu stellen. Aus humanitären wie auch wirtschaftlichen Gründen besteht heute bereits überall in Deutschland dringender Handlungsbedarf.

 

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen