Patientenrechte stehen oft nur auf dem Papier

Beschwerdezuschriften ohne Ende.

Inwieweit Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen die Patientenrechte beachten, hängt wesentlich vom Alter und der Wehrhaftigkeit der Patienten ab.  Wer über  80 ist und Erklärungen nicht mehr ganz so  gut folgen kann oder schnell wieder vergisst,  läuft Gefahr überhaupt nicht mehr gefragt und informiert zu werden.  Bei diesen wird sofort nach dem rechtlichen Vertreter gefragt und allenfalls mit diesem über Behandlungsmaßnahmen gesprochen.  Welche Medikamente der Patient bekommt, das  erfährt meist nur die Pflegekraft, die bei der Visite die Anordnung entgegennimmt und die Medikamente richtet bzw. verabreicht.  So war das früher schon und so ist das heute immer noch.

Aufklärungspflicht und Patientenschutzgesetze finden gegenüber hochbetagten, pflegebedürftigen Patienten höchstens dann Beachtung, wenn der Betroffene selbst oder sein Vertretungsberechtigter  mit Nachdruck erklärt, dass er über Risiken, Nebenwirkungen und Alternativen informiert werden will.   Da jedoch nur verhältnismäßig wenige Angehörige/Betreuer Wert darauf legen, gefragt zu werden, werden jene, die sich auf die Patientenrechte und den Tatbestand der Körperverletzung berufen, mit dem Problem konfrontiert sich nach einem anderen Heim oder Arzt umschauen zu müssen. Diese wenden sich dann oft an die Pflegeethik Initiative mit der Frage, ob wir Heime oder Ärzte in der Umgebung kennen, die eine andere Haltung an den Tag legen.  Eine Frage, die sich selten mit JA beantworten lässt.

In der stationären Pflege sehen sich kritische Patienten/Bewohner zumeist vor die Wahl gestellt: Entweder den medizinischen Anordnungen  Folge zu leisten, oder sich einen anderen Arzt oder ein anderes Heim zu suchen.  Ärzte wie Heimleiter  wähnen sich in der sicheren Position, Medikamente verordnen und  verabreichen zu können, ohne den Patienten/Bewohner oder dessen rechtliche Vertretung zu informieren.   Selbst wenn ein rechtlicher Vertreter schriftlich erklärt, warum er nicht möchte, dass seine Mutter/Vater/Betreute z.B. ruhigstellende Mittel bekommt, kann er nicht davon ausgehen, dass dieser „Patientenwille“ beachtet wird.

So erging es beispielsweise auch dieser Enkelin (gerichtlich bestellte Betreuerin), die sich kürzlich mit der Frage nach den Patientenrechten in Heimen an die Pflegeethik Initiative gewandt hat.  Am 19.02.2020 schreibt sie:

Bereits vor wenigen Monaten haben wir uns per E-Mail an Sie gewandt, bezüglich schriftlich abgelehnter Medikamentengaben. Umgehend bekamen wir eine Antwort von Ihnen, daraufhin erörterten wir unsere Situation etwas tiefgründiger. Zum damaligen Zeitpunkt war es so, dass wir uns seitens des Arztes und auch der Pflegeeinrichtung einschüchtern ließen. Aus Angst den Hausarzt und auch den Platz in der Pflegeeinrichtung gekündigt zu bekommen. In der Vergangenheit, nach einer schriftlichen Untersagung einer Sedierung, warf uns der Arzt raus und wir standen ohne Hausarzt da. Nach langer Suche fanden wir einen neuen Hausarzt (leider keine bessere Wahl),  welcher die Behandlung ab Mai 2018 übernahm. Schließlich wurde die Situation nicht besser, spitze sich weiter zu, sodass wir uns nun entschlossen, für die Rechte unserer Betreuten (Großmutter, Pflegegrad 5 seit Februar 2018) einzutreten, wir haben zu lange zugeschaut und uns einschüchtern lassen. Sehr intensiv haben wir einige Ihrer Berichte gelesen, Ihre Entschlossenheit Missstände deutlich zu benennen und dagegen vorzugehen. Genau das möchten wir mit unserem Beitrag (Fördermitgliedschaft) unterstützen. Denn es muss endlich aufhören, dass hilfsbedürftige Menschen ihre Rechte an der Tür eines Pflegeheimes abgeben müssen, dass Arzt und Pflegeheim ungefragt über dieses bestimmen dürfen, ja, dass sogar schriftliche Nicht-Einwilligungen einfach missachtet werden, als gebe es diese nicht.

In nächster Zeit werden wir gegen den damaligen Behandler Strafanzeige stellen, denn auch nach „Rausschmiss“ bestand er darauf, dass das sedierende Präparat weiter verabreicht wird, und das Pflegeheim versteckte sich hinter der ärztlichen Anordnung des ehemaligen Behandlers. Wir involvierten die Betreuungsbehörde des Landkreises Görlitz, das Gericht, alles ohne Erfolg, keiner fühlte sich zuständig. Sodass wir lange Zeit den Zustand ertragen haben, da auch der neue Hausarzt munter weiter machte, Medikamente ohne Grenzen anzusetzen. Zwischenzeitlich waren wir bei 22 Tabletten täglich. Versuche, mit dem jetzigen Behandler zu reden und klar zu machen, dass dies unsere Betreute nicht verträgt und auch niemals gewollt hätte, schlugen fehl. Es wurde immer wieder sehr deutlich gemacht, „Ich bin der Arzt, meine Verantwortung, wenn sie meinen ich wäre unfähig, ich mache sofort alle Unterlagen fertig, dann können sie sich einen anderen Arzt suchen“. Und genau das ist das Problem, es war der einzige Arzt, welcher noch neue Patienten aufnahm und Hausbesuche im Pflegeheim durchführte. Wir sahen keinen anderen Ausweg, diese Situation dulden zu müssen und diesen Praktiken machtlos zuzusehen, zumal auch immer wieder das Pflegeheim klar zu verstehen gab, dass wir störend sind. Denn wenn das alle Angehörigen so praktizieren würden, würde man nicht mehr fertig werden. Weiter entgegnete man uns ständig, wenn wir denn so unzufrieden sind, dann könnten wir auch kündigen, dann gebe es keine unzufriedenen Situationen mehr.  Jedenfalls sind wir an einem Punkt angekommen, wo wir nicht länger zuschauen können und offensichtliche Mängel in der Pflege dulden werden. Dementsprechend wären wir über jede Anregung und Hilfe sehr dankbar, um endlich diesen unschönen Praktiken ein Ende zu setzen.“

Es ist genug!: Auch alte Menschen haben Rechte by [Fussek, Claus, Schober, Gottlob]Obwohl dies kein Einzelfall ist, sondern eine Praxis, die seit vielen Jahren ungezählte Male beschrieben und beklagt wird,  wird nichts zur  Abhilfe unternommen.   Unsere Gesellschaft duldet ein hier täglich hunderttausendfach verübtes  Unrecht.

Im Umgang mit pflegebetroffenen Menschen stehen Gesetze, wie das 2013 verabschiedete Patientenrechtegesetz, oft nur auf dem Papier.

Im Büro von Claus Fussek stapeln sich Beschwerdeschreiben (siehe Titelfoto) und Ordner bis unter die Decke, gefüllt mit Anzeigen von Rechtsverletzungen in der Pflege.

An richtigen und wichtigen Gesetzen fehlt es im deutschen Gesundheitswesen nicht.  Was nützen jedoch die besten Gesetze, wenn sich niemand dafür interessiert, ob sie beachtet werden?

 


Wir dürfen die massenhaften Menschenrechtsverletzungen in der Pflege nicht hinnehmen.