Unabhängige Beschwerdestelle für Betreuungs-Opfer gefordert

Foto: Angehörige - Betreuungsopfer I. - Unvergessen! Unverzeihlich was dieser Frau angetan wurde.

Im März 2019 hatte die  Pflegeethik-Initiative, mit der Broschüre: „Erfahrung mit rechtlicher Betreuung im Pflegebereich“, auf den dringenden Reformbedarf hingewiesen. Die Broschüre wurde den zuständigen Abgeordneten und Personen in den Ministerien geschickt und löste eine  breite Diskussion aus.  Es wurde eine grundlegende Reform versprochen.  Herausgekommen ist eine wohlklingende Absichtserklärung, die den Akteuren bestenfalls ins Gewissen redet. So muss weiterhin mit  Fremdbestimmung und Fehlentscheidungen seitens der Gerichte und Betreuer gerechnet werden, denen der Betreute schutzlos ausgeliefert ist.  Viele Reformpunkte sind lobenswert. Sie sind jedoch nicht ausreichend, in der Umsetzung teilweise nicht zu Ende gedacht und in vielen Fällen mangels Personals auch nur schwer realisierbar.

Betreuungsrechtsreform: Die wichtigsten Änderungen

Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes
Die seit Januar 2023 geltende Fassung hebt das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten stärker hervor.  Im Wortlaut verpflichtet das Gesetz den Betreuer, sich an den Wünschen seines Betreuten zu orientieren und diesen Folge zu leisten, sofern nicht die in (3) genannten Gründe dagegen sprechen.   Betreuer:innen haben die Pflicht, Betreute bei selbstbestimmten Entscheidungen zu unterstützen. Sie sind gehalten sich am Wunsch und Willen des Betreuten zu orientieren.  Stellvertretende Entscheidungen sollen die Ausnahme sein.

Konkret: § 1821 Abs. 2-4 BGB

(1)  Der Betreuer nimmt alle Tätigkeiten vor, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen.
Er unterstützt den Betreuten dabei, seine Angelegenheiten rechtlich selbst zu besorgen, und macht von seiner Vertretungsmacht nach § 1823 nur Gebrauch, soweit dies erforderlich ist.

(2) Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, dass dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben nach seinen Wünschen gestalten kann.
Hierzu hat der Betreuer die Wünsche des Betreuten festzustellen. Diesen hat der Betreuer vorbehaltlich des Absatzes 3 zu entsprechen und den Betreuten bei deren Umsetzung rechtlich zu unterstützen. Dies gilt auch für die Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will.

(3) Den Wünschen des Betreuten hat der Betreuer nicht zu entsprechen, soweit
1. die Person des Betreuten oder dessen Vermögen hierdurch erheblich gefährdet würde und der Betreute diese Gefahr aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann, oder
2.  dies dem Betreuer nicht zuzumuten ist.

(4) Kann der Betreuer die Wünsche des Betreuten nicht feststellen oder darf er ihnen nach Absatz 3 Nummer 1 nicht entsprechen, hat er den mutmaßlichen Willen des Betreuten aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln und ihm Geltung zu verschaffen. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. Bei der Feststellung des mutmaßlichen Willens soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden.

Auf dem Papier wurde die Rechtsstellung der/des Betreuten verbessert, in der Praxis kommt es jedoch nach wie vor darauf an, wie das zuständige Betreuungsgericht beziehungsweise die eingesetzte Betreuerin, der Betreuer die jeweilige Situation beurteilen. Gerichte die bisher  den Angaben von Ärzten und Pflegefachkräften ungeprüft Glauben schenkten und Verfügungen trafen, die der Betreute direkt, indirekt oder mutmaßlich ablehnt, dürfen dies auch weiterhin tun, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.  Nach wie vor  obliegt den Betreuungsgerichten eine kaum anfechtbare Entscheidungshoheit. Sie können einem Menschen, auf Hinweis eines Arztes, die Entscheidungsfähigkeit aberkennen, kritische Angehörige als Bevollmächtigte ausschalten, Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung anordnen.

Erforderlichkeitsgrundsatz: Die Erforderlichkeit ist für alle Bereiche jeweils festzustellen
Positiv zu bewerten ist die Hervorhebung des Erforderlichkeitsgrundsatz. Damit reagiert der Gesetzgeber auf den extremen Anstieg der Betreuungen und die Nichtbeachtung anderer Hilfen. Betreuungsgericht und Betreuungsbehörde sollen künftig vor einer Betreuung feststellen in welchen Bereichen tatsächlicher Unterstützungsbedarf besteht. Bisher wurden meist ungeprüft alle Bereiche angekreuzt. Es soll zudem festgestellt werden inwieweit der Hilfebedarf durch Personen im privaten Umfeld sicher gestellt werden kann.

Konkret: § 1814 BGB Abs. 3

Ein Betreuer darf nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. Die Bestellung eines Betreuers ist insbesondere nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen

1. durch einen Bevollmächtigten, der nicht zu den in § 1816 Absatz 6 bezeichneten Personen gehört, gleichermaßen besorgt werden können oder
2. durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, erledigt werden können, insbesondere durch solche Unterstützung, die auf sozialen Rechten oder anderen Vorschriften beruht.

In § 1814 Abs.3 Seite 2 BGB werden Maßnahmen aufgelistet, welche gleichermaßen geeignet sein können, den Unterstützungsbedarf abzudecken, so dass eine Betreuung nicht erforderlich ist. Betreuungsbehörden sollen zukünftig beraten, wie solche unterstützenden Maßnahmen aussehen können, wenn der Betroffene zustimmt. Näheres regelt das neue Betreuungsorganisationsgesetz (BTOG).  Betreuungen gegen den freien Willen eines Betroffenen hätte es auch vorher nicht geben dürfen. Dennoch kamen sie im Zuge der Betreuungspraxis, die in o.g. Broschüre näher beschrieben wird, häufig vor.

Es gilt der Wille des Betreuten und nicht die „zu seinem Wohl“ Entscheidung
Bei Betreuten, die ihre Wünsche und ihren Willen nicht (mehr) selbst ausdrücken können,  ist der Betreuer verpflichtet den mutmaßlichen Willen in Erfahrung zu bringen.  Sofern keine  Patientenverfügung oder Erklärung vorliegt, sind Angehörige und frühere Bezugspersonen zu befragen.  Entscheidungen dürfen nicht mehr, wie zuvor mit dem Argument anderer „zu ihrem Wohle“ getroffen werden.

Persönlicher Kontakt zum Betreuten
Betreute sind stärker als bisher in alle  Prozesse der Betreuung einzubeziehen.  Betreuer sind verpflichtet persönlich mit dem Betreuten in Kontakt zu treten. Sie sollen  jährlich einen Bericht verfassen und diesen mit dem Betreuten besprechen.

Rechtstellung des Betreuten vor Gericht
Briefe vom Gericht oder von Behörden sind dem Betreuten selbst vorzulegen. Sie gehen nicht nur, wie zuvor, an die Betreuer:innen.  Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Rechtstellung von Eheleuten
Eingeführt wurde ein „Ehegattenvertretungsrecht im Kontex der Gesundheitssorge und FEM.“  Wenn ein Ehepartner plötzlich schwer erkrankt so dass er nicht mehr selbst entscheiden kann, und wenn keine Vorsorgevollmacht oder Betreuung vorliegt, darf der andere Ehepartner dessen Angelegenheiten regeln.  Was früher selbstverständlich war, dann jedoch Jahrzehnte durch das Betreuungsrecht untersagt wurde, ist nun zum Teil (Gesundheitssorge und FEM) wieder erlaubt. Ärzte müssen also jetzt nicht mehr den Betreuungsrichter rufen, wenn ein Patient bewusstlos eingeliefert wird und der Ehepartner keine Vorsorgevollmacht vorlegen kann.  Bis zu 6 Monate lang können sie die weitere Behandlung und alles Nötige mit dessen Partner besprechen.   Es sei denn die Eheleute leben getrennt.

Keine Zwangssterilisationen
Eine Sterilisation des Betreuten gegen dessen Willen wird generell untersagt. Wenn der Betroffene der Sterilisation lediglich nicht widerspricht, heißt das nicht, dass er dieser zustimmt.

Änderungen für Betreuer:innen:
Berufsbetreuer:innen müssen sich künftig bei einer Betreuungsbehörde registrieren lassen und Fachkenntnisse nachweisen. Ehrenamtliche Betreuer:innen, die nicht aus dem privaten Umfeld des Betreuten kommen, sollen sich an einen Betreuungsverein anschließen, der sie beraten und fortbilden kann.  Martin Kusch, hat dazu den untenstehenden Kommentar verfasst.

Weitere Informationen siehe: https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Betreuungsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=48


Beschwerderegelung bleibt inakzeptabel

Ohne die Einrichtung unabhängigen Beschwerdestellen ist diese Reform das Papier nicht wert.

Bei den erwähnten Verbesserungen des Betreuungsrechts handelt es sich im Wesentlichen um Absichtserklärungen. Gerichte oder Betreuer, die sich nicht daran orientieren, können nach wie vor darauf vertrauen, dass Beschwerden   abgewiesen werden. Welches Gericht erkennt die Beschwerde eines Betreuten an, zumal wenn der Betreute dem Gericht oder dem von diesem eingesetzten Betreuer Fehler vorwirft? Aus unserer jahrelangen Erfahrung im Betreuungsrecht wissen wir, dass Betroffenen, vor allem wenn sie als dement gelten, selten geglaubt wird.

Solange Beschwerden  von denen bearbeitet werden, gegen die sich die Beschwerde richtet, können Betreuer sich weiterhin über den Willen ihrer Betreuten hinwegsetzen und Entscheidungen hinter dessen Rücken treffen, ohne ernsthafte Konsequenzen befürchten zu müssen.  Diese Reform hat nicht dafür gesorgt, Betroffene vor Machtmissbrauch, Entrechtung und Gewalt durch Betreuer zu schützen.

Dringend  brauchte es hier einer neutralen Beschwerdestelle, besetzt mit sachkundigen, vertrauenswürdigen Personen, die in keiner fachlichen oder sonstigen Abhängigkeit mit Betreuungsgerichten/-behörden stehen.


Ergänzende Anmerkungen eines engagierten Berufsbetreuers  (BB)

Ein Kommentar von Martin Kusch

Ein Dorn im Auge war und bleibt die fehlende Qualifikation einiger BB, die jetzt Bestandsschutz geniessen und weitermachen dürfen. Ein Riesenfehler!!!!
Nehmen wir die Rechtsanwälte, die zunehmend als BB eingesetzt werden. Die mögen zwar gute Schriftsätze verfassen und die Rechtslage kennen, aber auf den Umgang mit Kranken und Dementen sind sie  nicht vorbereitet.  Es sei denn, sie besuchen freiwillig Kurse in denen Betreuer darauf vorbereitet werden.  Hier ein kleiner Auszug aus den vorgesehenen Aus-und Weiterbildungsmodulen für Neueinsteiger:

Grundlagen der Kommunikation und Praxistransfer

  • Auswirkungen spezifischer krankheits-bzw. beeinträchtigungsbedingter Einschränkungen auf die Fähigkeit der Kommunikation und der Entscheidungsfindung.
  • Bedeutung sozialer und umweltbedingter Einflussfaktoren auf Autonomie und Entscheidungsfindung von betreuten Menschen.
  • Barrierefreie Kommunikation, leichte Sprache, Drei-oder Mehrparteien-Interaktion mit betreuten Menschen.

Viele Dinge in der Reform werden aus personellen und aus finanziellen Gründen nicht wie geplant umgesetzt werden können. Der Personalmangel in der Justiz ist bekannt, die Reform berücksichtigt das überhaupt nicht, erwartet werden von den eh schon völlig überlasteten Rechtspflegern jetzt noch zusätzliche Beratungen. Die Betreuungsbehörden müssen Planstellen schaffen, dazu bedarf es Haushaltsmitteln. Die Betreuungsvereine gehen schon seit Jahren finanziell am Stock, je nach Bundesland gibt es finanziell gut aufgestellte Vereine, z.B. wohl RLP, oder Vereine die nahezu insolvent sind, wie scheinbar oft in den neuen Bundesländern. Betreuungsvereine sind aber gerade im Bezug auf die Ehrenamtlichen Betreuer unverzichtbar.

Zu hinterfragen wäre auch, wie es denn mit Fortbildungen der Richterinnen und Richter aussieht?  Ich erinnere mich da an einen mittlerweile pensionierten Betreuungsrichter aus Frankfurt, der es schön gefunden hätte, wenn es für Richter verpflichtend wäre, Fortbildungen anzubieten und zu besuchen.

Ich habe ja nun seit Mitte letzten Jahres für meine Betreuten und mich Weiterbildungen besucht und unterstelle mir mal ein einigermaßen vorhandenes Fachwissen. Die sozialpädagogische Komponente bei mir könnte noch besser sein. Kosten für Fortbildungen bei mir jährlich so 2.500 EUR.
Die Reform hat ja ganz bewusst die Qualitätskriterien für Neueinsteiger recht niedrig angesetzt, eben aus Angst u.a. vor den anfallenden Kosten.

Vergütungen auch ein ewiges Thema. Nach wie vor geht das über die Anzahl der Betreuungen, mit der Konsequenz einer Verwaltung von Menschen. Die in der Reform vorgesehene persönliche Besprechungspflicht ist bei 40 bis 70 Betreuungen regelmäßig nicht möglich. Erschwerend kommt momentan hinzu, dass sich Betreuer jedesmal anmelden und diesen sinnbefreiten Corona-Test vorlegen müssen, um ihre Betreuten in den Pflegeheimen besuchen zu können.  Ich habe daraus die Konsequenz gezogen, Betreuungen in Pflegeheimen abzugeben und auch derzeitig keine Menschen in Pflegeheimen neu zu betreuen.