Sterben in Deutschland

Prof.Dr.Dr. Reimer Gronemeyer

Mit  Sterben in Deutschland  hält der Theologe und Soziologe, Prof. Reimer Gronemeyer  unserer Gesellschaft und jedem der es liest einen Spiegel vor.  Angesichts der Auslagerung des Sterbens in Einrichtungen, geht es  um die Frage: Wie wir dem Tod wieder einen Platz in unserem  Leben einräumen können.

Das ist das Neue: Sterben und Tod sind für uns moderne Menschen zum Problem geworden. Der Tod kommt nicht mehr, sondern er wird zur letzten Gestaltungsaufgabe des Menschen.

Vor Einführung der Fallpauschalen,  war es selbstverständlich, dass sterbenskranke Patienten  die zu Hause nicht die nötige Behandlung und Pflege hatten,  bis zum Tod im Krankenhaus blieben.  Auch wenn dies Wochen und Monate dauerte, sah sich kein Klinikarzt gedrängt einen Patienten mit stationärem Behandlungsbedarf  in eine andere Abteilung oder ein Pflegeheim zu verlegen.  Vielmehr versuchte man dem Bedürfnis  Sterbender Rechnung zu tragen,  nach einer vertrauten Umgebung und vertrauten Ärzten und Pflegekräften. Heute trifft hingegen das von Gronemeyer beschriebene zu:

..Die Mobilisierung, die den modernen Menschen ergriffen hat, springt gegenwärtig auf den letzten Lebensabschnitt über und macht den Sterbenden zum Nomanden:  „Es kommt jemand zum Sterben runter“, sagt der Arzt, der im Krankenhaus arbeitet zu Schwester K. Das ist immerhin ein kurzer Weg ins Sterbezimmer.  Manche aber erfahren am Ende, was eine Pendlerexistenz ist. Ins Krankenhaus werden sie gebracht und wegen der Fallpauschalenregelung binnen fünf Tagen nach Hause geschickt, um bald – zum Beispiel wegen ihrer Schmerzen – wiederzukommen. Das kann in den letzten zwei Lebensmonaten ein ewiges Hin und Her bedeuten. Mancher stirbt auch in der Ambulanz und wahrscheinlich ist der Tod in einer dahinrasenden Intensivstation die symbolische Hochform des Sterbens. Kein Engelschor singt, es jault nur eine blaue Sirene. Nicht der Prister steht mit der letzten Ölung bei, sondern der Notarzt in alarmroter Malterserkluft spendet das Sakrament der künstlichen Beatmung. Die einzige Spur, die der Kranke in diesem Moment hinterlässt sind immense Kosten. „

Interessant fand ich folgende Erklärung  für die starke Konzentration von Ärzten wie Pflegekräften auf den Körper.

Das Entsetzten darüber, dass ein Mensch sich im Sterben in einen bloßen Körper verwandelt, kann ferngehalten werden, wenn man sich von Anfang an nur für den Körper interessiert.

So hatte ich das bisher  nicht gesehen, weil mich der Mensch in seinem Körper immer schon mehr interessiert hat.  Nach dem Besuch einer geriatrischen Klinik in Mailand, mit sauber und reglos in ihren Betten liegenden Alten, deren Körper von Pflegerinnen am Leben erhalten wurde,  kam dem Theologe Gronemeyer  folgender Vergleich:

Der moderne Mensch, der an Hades und Hölle nicht mehr glaubt, schafft sich doch seine Unterwelt selbst, die nun nicht mehr unter der Erde liegt, sondern eine reale Krankenhausabteilung geworden ist, ein Gebäude das sich in der Nachbarschaft finden lässt.

Mir erscheint diese Folgerung so treffend, dass ich sie spontan mit drei !!! hervorgehoben habe.  Es dürfte keinen einzigen Menschen geben, der so enden möchte, auch und gerade nicht die Ärzte und Pflegekräfte die  für endlose  Sichtumsprozesse und Dauerpflegezustände Verantwortung tragen.

Sehr anschaulich beschreibt Gronemeyer die ethische Problematik, zunehmender Institutionalisierung und Medikalisierung des Sterbens.

Hervorragend auch das Kapitel über die Demenz als Reaktion auf den Zeitgeist: „Jede Gesellschaft hat ja ihre Gegenwelt hervorgebracht.“

Auch wenn dieses Buch, Erstauflage 2007, durch aktueller Bücher des Autos in den Hindergrund geraten ist, es müsste Pflichtlektüre für Ärzte und Pflegekräfte werden.

Von den weiteren Büchern, die Reimer Gronemeyer, geschrieben hat, habe ich „Das 4. Lebensalter“ gelesen.

Zur Einstimmung  sei dieses Video Interview  empfohlen.

 

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