Krankenhaussterben: Ein weiteres Symptom fehlgeleiteter Gesundheitspolitik

Derzeit sind die Zeitungen voll von Berichten über Krankenhäuser die aus wirtschaftlichen Gründen sterben gelassen werden. Die Träger dieser Krankenhäuser geben den Kassen die Schuld, die Kassen verweisen auf die Politik. Landespolitiker verweisen auf den Bund und der Bund kann sich neuerdings auf eine Studie berufen, die zu dem Ergebnis kam, dass rund die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland überflüssig sind. Betroffen sind vor allem Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung in ländlichen Regionen, mit einer breiten und eher konservativen Ausrichtung.

Krankenhäuser, die sich auf lukrative Eingriffe wie Hüftprothetik spezialisiert haben, stehen wirtschaftlich besser da, als Häuser in denen versucht wird, das Problem ohne Operation in den Griff zu bekommen.  Die Kassenleistungen begünstigen invasive Eingriffe und haben so dazu beigetragen, dass konservative und schonende Heilverfahren in den Krankenhäusern immer weniger praktiziert werden.  Je risikoreicher eine Behandlung für den Patienten, desto lukrativer ist diese für den Arzt bzw. die Klinik.
Und wenn der Patient schwere Schäden davon trägt oder gar in Folge des Eingriffes verstirbt, bekommt die Klinik trotzdem ihr Geld.

Das Risiko dieser Medizin trägt alleine der Patient!  Von den rund 900.000 Menschen die in Deutschland jedes Jahr sterben, sterben rund 300.000 Menschen an den Folgen medizinischer Behandlung, erklärt der Radiologe Dr. Gerd Reuter, in dieser sehr sehenwerten Sendung des SWR.  Wie dieser Arzt und andere, die  in Büchern und Beiträgen auf die falschen Anreize unseres Gesundheitswesens hinweisen, fordern auch wir eine Neubesinnung auf den Heilauftrag der Medizin.  Oder um  es mit Hippokrates zu sagen:  „Der Arzt soll heilen, oder wenigstens nicht schaden.“

Unser Gesundheitswesen orientiert sich  am Markt und nicht am Menschen. 

Caritative, christlich, ethische oder humanistische  Werte stehen meist nur noch auf dem Papier. Unbemerkt wurden diese geopfert,  als gäbe es keine bessere Lösung, als sich von allem zu trennen, was nicht genügend Geld abwirft.  Derzeit  stehen in Rheinland-Pfalz  fünf  Krankenhäuser auf der Kippe.  Drei davon befinden sich in der Trägerschaft der Marienhaus Holding GmbH, einem Tochterunternehmen der „Franziskannerinnen von Waldbreitbach“. Es handelt sich um den größten und einflussreichsten Träger sozialer Einrichtungen in RLP.  Auch das Krankenhaus, in dem ich Anfang der 7oiger Jahre meine Ausbildung zur Krankenschwester machte, gehört dem Träger.  Die Entwicklung innerhalb dieser Organisation erlebe ich seither aus nächster Nähe. Von der christlichen Nächstenliebe, wofür die Gründerin des Franziskanerordens stand, als die Schwestern noch für ein „Vergelt`s Gott“ Krankenpflege in der Region betrieben haben, ist nichts mehr zu spüren.  Zwar verlangt heute niemand, dass die Sorge um Kranke unentgeltlich erbracht wird, aber die Form wie hier ein renommierter, kirchlicher Träger den Menschen ihre Krankenversorgung aufgekündigt hat, wirkt verstörend.   Entsprechend groß war dann auch die  Entrüstung bei den Bürgern, die spontan zu Tausenden auf die Straße gingen und so immerhin eine sofortige Schließung  „ihres Krankenhauses“ abwenden konnten.  Hören Sie hier den Bericht im SWR 1 zum  Krankenhaussterben in Rheinland-Pfalz.

Wie Sie vorgenanntem Bericht und anderen Pressemitteilungen entnehmen können,  waschen Trägervertreter, Politiker, Kassenverbände und Krankenhausgesellschaft ihre Hände in Unschuld.  Geradeso, als hätten sie keinerlei Einfluss auf die Strukturen in unserem Gesundheitswesen.  Der  Marienhaus-Holding muss vorgehalten werden, dass sie ihre Vormachtstellung als größter Leistungsanbieter und Arbeitgeber in diesem Bereich nicht genutzt hat, um der beklagten Entwicklung entgegen zu treten.   Stattdessen begibt sich dieser Träger in den Wettbewerb  mit solchen Anbietern, die auf finanziell lohnende Diagnostik und Behandlung setzen und konservativ bewährte Heilverfahren streichen.  Die Kliniken dieses Trägers rüsten technisch auf, investieren in  Spezialisten, Apparate- und  Intensivmedizin  und optimieren die Abläufe, um Personal  zu sparen.

Für den ganzen Menschen  interessiert sich im Klinikalltag  niemand. Spezialisten sind gefragt.  Schon 1987 gab es an der Uniklinik Tübingen einen Professor der für die Hinterwand und einen der für die Vorderwand zuständig war.  Diese Fachärzte fühlten sich nicht einmal für das Herz als Ganzes zuständig, geschweige denn für den Menschen in dem das Herz schlägt.   Jeder Spezialist beanspruchte seine Betten, und das Pflegepersonal war dafür zuständig, die Patienten entsprechend umzuverlegen. Was das für alte Menschen bedeutet, lässt sich denken.  In einem Fall, den ich damals selbst mit recherchiert habe, wurde eine ältere Frau, Diabetikerin, stark unterzuckert  in die Notaufnahme der medizinischen Klinik eingeliefert.  Die Notfallsituation konnte mittels Glucoseinfusion rasch behoben werden.  Zur Abklärung weiterer Störungen erschien den Ärzten jedoch eine stationäre Aufnahme erforderlich. Mehrfach wurde diese Frau  innerhalb des Kinikums verlegt.  Ihr letzter Aufenthalt war in der Augenklinik und von dort musste sie ins Pflegeheim entlassen werden, weil sie das ganze  Hin und Her vollständig verwirrt und verunsichert hatte.  Schon damals habe ich Untersuchungen und Maßnahmen angeregt, um die Entwicklung einer Langzeitpflegebedürftigkeit während eines Klinikaufenthaltes zu vermeiden.  Gerade alte Menschen geraten in großen Kliniken leicht unter die Räder.  Ohne eine ständige Begleitperson sind diese dort verloren.  In kleineren Häusern, wo Angehörige auch mal schnell schauen können, haben diese deutlich bessere Genesungschancen. Lesen Sie hier diesbezüglicher Erfahrungen eines Angehörigen mit dem Mainzer Uniklinikum.

Zeit für Zuwendung  war immer schon knapp, aber seit Ökonome das Sagen haben, ist diese komplett gestrichen.  Gespräche bringen nichts ein.  Vielmehr wird das Personal gehalten dafür zu sorgen, dass die Durchlaufrate an Patienten erfüllt wird und die Fallzahlen stimmen.  Aus Krankenhäusern  werden Krankenfabriken.

In seinem Beitrag: „Die Diagnosen folgen dem Geld„,beschreibt der Frankfurter Arzt Bernd Hontschik, das falsche Anreizsystem. Auf die Frage, was es bedeutet, wenn Medizin zur Ware wird, erklärt Hontschik:

Wo der Gewinn das höchste Ziel ist, ist es um die Humanmedizin schlecht bestellt. Patientinnen und Patienten werden zu Kunden, Ärztinnen und Ärzte werden zu Leistungsanbietern, Diagnosen und Therapien werden digitalisiert und optimiert, kontrolliert durch ein Qualitätsmanagement. Es geht nur vordergründig darum, die Humanmedizin bzw. das Gesundheitswesen zu einer ökonomisch sinnvollen Verfahrensweise anzuhalten, sondern es geht darum, das Primat der Humanmedizin knallhart durch das Primat der Gewinne, der Shareholder zu ersetzen. Profit oder heilende, helfende Fürsorge stehen sich unvereinbar gegenüber. Man muss sich entscheiden – politisch. Und in unserem Land fallen die Würfel immer mehr in Richtung privatem Kapital und Profit, immer weniger Richtung Humanmedizin.
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Den größten Einfluss auf die  Gesundheitspolitik hat die Gesundheitsindustrie, an erster Stelle die Pharmaindustrie, die mit ihren milliardenschwerden Umsätzen und tausenden  Arbeitsplätzen, einen nicht unerheblichen Anteil  am Wohlstand  hat.  Verflossene und amtierende  Gesundheitsminister wie auch unsere Bundeskanzlerin zeigen sich stolz, angesichts der jährlich neuen Rekorde an Umsätzen und Gewinnen, die die Riesen der Branche vorweisen können.   Das Geschäft mit den Kranken boomt, und zwar mit einer garantiert steigenden  Wachstumsrate.

Gesundheitspolitiker, allen voran unser jetziger Gesundheitsminister,  betreiben eine Politik zu Gunsten der Industrie.  Fast alle Gesetze die in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurden, lassen daran fühlen, dass nicht das Wohl der Patienten den Ausschlag gab, sondern das Interesse verschiedener Stippenzieher im Hintergrund, die einen finanziellen Nutzen daraus ziehen können.

Um aus dem negativen Kreislauf herauszukommen, bedarf es einer Rückbesinnung auf den Menschen beziehungsweise auf den Nutzen für den Patienten.  Nicht der wirtschaftliche, sondern der gesundheitliche Nutzen müssen bei der Bewertung von Kassenleistungen im Vordergrund stehen.    Behandlungen, die zum erhoffte Ziel geführt haben müssen deutlich höher bewertet werden, als Behandlungen, die zur Verschlechterung des Zustandes führten.

Wir haben aktuell ein System, dass Kliniken und Ärzten volle Kostenübernahme für alle Kassenleistungen zuspricht die erbracht wurden, selbst dann wenn der Patient durch die  Behandlung nachweislich geschädigt wurde oder verstorben ist.

Für  Ärzte und Kliniken muss ein Anreiz geschaffen werden, positive Behandlungsergebnisse zu erzielen, indem die Kostenübernahme in Abhängigkeit vom tatsächlichen Nutzen für den Patienten gesetzt wird!

Das Krankenhaussterben könnte ein wichtiger  Weckruf sein.  Jedoch wird sich nichts ändern, solange die Politik von denen diktiert werden darf, die ihren Eigennutz über den des Patientenwohls stellen.


Zur  Chronologie des Kliniksterbens  in Deutschland

Bundesweit haben Bürger Petitionen gegen die geplante Schließung eines ihnen wichtigen Krankenhauses gestartet.


Nachtrag:
Die Befürworter der Krankenhausschließungen auf dem Land verweisen auf Dänemark. Dort habe es auch Proteste gegeben, als die kleineren Krankenhäuser geschlossen und eine komplette Umstrukturierung der Versorgung durchgesetzt wurde.  Tatsächlich ist das dänische  Gesundheitssystem dem deutschen in vielen Überlegen.  Angefangen damit, dass es nicht hunderte von Krankenversicherungen gibt, dass es keinen Wettbewerb und keine Gewinnbestrebungen zwischen den Leistungsanbietern gibt. Dort kennt man auch keine Fallpauschalen, die dazu verleiten, Patienten viel zu früh zu entlassen.  Außerdem müssen dänischen Patienten nicht befürchten einer unsinnigen Diagnostik und Behandlung  ausgesetzt zu werden,  damit sich die teure Medizintechnik amortisiert oder die Klinik die geforderten Fallzahlen erreicht.

In Dänemark wird Gesundheitssorge als staatliche Aufgabe betrachtet und wahrgenommen.  Der  Grundsatz  „Ambulant vor Stationär“ wird dort umgesetzt. Wer Hilfe benötigt, weil er nach einem Sturz oder einer Operation alleine zu Hause nicht zureckt kommt, muss keine  Anträge stellen und sich um einen Pflegedienst bemühen. Die Sicherstellung der häusliche Behandlung und Pflege ist zentraler Bestandteil des dänischen Systems.  Weil es genügend Ärzte und Pflegefachkräfte gibt, die sich individuell um jeden Bedürftigen kümmern, können in Dänemark Krankenhausaufenthalte vermieden werden, die in Deutschland auch vermeidbar wären, würde eine systematische Fürsorge betrieben.

In Dänemark müssen alte Menschen  nicht befürchten, ihre letzten Lebensmonate oder -jahre in einem Pflegeheim zu verbringen.  Dort kennt man auch keinen Pflegenotstand, weil sich die Pflegekräfte  die nötige Zeit für jeden Patienten nehmen können.  Außerdem ist die Versorgungsqualtität in dänischen Kliniken alleine durch einen wesentlich höheren Stellenschlüssel besser gewährleistet.  Während beispielsweise auf deutschen Intensivstationen eine Pflegekraft fünf Patienten betreuen muss, stellen die dänischen Kliniken jedem Intensivpflegebedürftigen eine Pflegekraft zur Seite.   Siehe auch: Wie die Dänen den Herausforderungen der Pflege begegnen.