Widerspruch tut Not

Das Dilemma der Transplantation nicht noch verstärken

Sehr geehrte Mitglieder des deutschen Bundestags,
sehr geehrte Damen und Herrn.

Am 16. Januar 2020 haben Sie darüber abzustimmen, wie das Einverständnis in die Organentnahme künftig in Deutschland geregelt werden soll.    Erhält die von den Regierungsparteien favorisierte Widerspruchslösung die meisten Stimmen, darf demnächst jeder Bundesbürger  ab 16 Jahren, der es versäumt hat sich zur Organspende zu erklären, als potentieller Organlieferant behandelt werden. Von Spende kann dann keine Rede mehr sein, vielmehr räumt der Staat den Ärzten uneingeschränkte Verfügungsgewalt über die Organe  hirngeschädigter Patienten ein, wohlwissend, dass der Mensch zum Zeitpunkt der Organentnahme noch lebt, denn tote Organe können nicht transplantiert werden.

Bereits bei der bisher geltenden Regelung besteht die Gefahr, dass ehrgeizige Intensivmediziner  in Patienten mit schweren Hirnschäden potentielle „Organspender“ sehen, denen jede Chance auf Heilung genommen wird.  Ohne den Kampfgeist seiner Mutter, hätte der im u.s. Filmbeitrag vorstellte  Mann seinen Unfall nicht überlebt, weil die Ärzte ihn bereits aufgegeben hatten, bevor der Hirntod festgestellt worden war.  Auf die Frage des Arztes, ob sie einer Organspende zustimme, antwortete diese Mutter mit einem energischen:  „Nein,  er braucht seine Organe selbst.“

Sollte die Widerspruchslösung auch hierzulande eingeführt werden, hätten Patienten in ähnlichen Situationen nur dann eine Überlebenschance, wenn sie in gesunden Zeiten schriftlich gut auffindbar dargelegt haben, dass sie KEINE Organe spenden wollen.  Angesichts der Werbekampagnen für Organspende  und der einseitigen Sicht auf erfolgreich transplantierte Patienten, werden die dunklen Seiten dieser Medizin übersehen.

Bereits das in 2019 verabschiedete Transplantationsgesetz verstärkt die Gefahr, dass in hirngeschädigten Intensivpatienten potentielle Organspender gesehen werden. Ehrgeizige Transplantationsbeauftragte und Intensivmediziner die bestimmte Spenderzahlen erreichen wollen, werden in Grenzfällen geneigt sein, das Behandlungsziel „Hirntod“ zu verfolgen und die Behandlung des Patienten einzustellen.  Das Transplantationsgesetz wurde mit dem Ziel erlassen, möglichst jeden Intensivpatienten der als Organspender in Betracht kommen könnte aufzuspüren, zu melden und dafür zu sorgen, dass die Organentnahme zeitnah stattfinden kann.

Die praktische Umsetzung des Transplantationsgesetzes  ist alles andere als gesichert.
In einem Schreiben des Deutschen Städtetags ans Gesundheitsministerium vom 19.09.2018 wird unter anderem auf folgende  – bis heute ungeklärte – Fragen hingewiesen:

„In der Begründung für den Gesetzesentwurf wird wiederholt das Ziel formuliert, dass eine Meldung eines potentiellen Organspenders zu erfolgen hat, ohne dass vorher geklärt wird, ob einer potentiellen Organentnahme überhaupt zugestimmt werden würde. Hierzu erhielten wir aber aus der Praxis wichtige Hinweise:

Um einen Spender zu identifizieren, ist die Durchführung der Hirntodfeststellung zwingend erforderlich. Im klinischen Alltag wird national und international in den meisten Kliniken eine Hirntoddiagnostik ganz überwiegend dann durchgeführt, wenn eine potentielle Zustimmung zur Organspende vorliegt. Die Durchführung einer Hirntoddiagnostik ist fast immer verbunden mit dem Ziel, eine Organspende zu realisieren, die Hirntoddefinition erfolgt im Zuge der Entwicklung der Transplantationsmedizin.  Beim allergrößten Teil schwer hirngeschädigter Patienten wird die Therapie ohne Hirntoddiagnostik beendet, sobald schwerste irreversible Hirnschäden diagnostiziert sind und kein weiterer Behandlungswunsch des schwerstgeschädigten Patienten entweder anhand von Patientenverfügung oder im Gespräch mit den Angehörigen detektiert werden kann. Keineswegs wird beim überwiegenden Teil der Patienten mit schwerer Hirnschädigung die Todesfeststellung/Indikation zur Therapieeinstellung in Form einer Hirntoddiagnostik durchgeführt. Das übliche Vorgehen (Klärung, ob potentiell eine Zustimmung zur Organspende gegeben ist, danach Durchführung der Hirntoddiagnostik) begründet sich wie folgt:

Zur Durchführung der klinischen Hirntodfeststellung ist es unbedingt erforderlich, dass der Patient frei von sedierenden Medikamenten ist. Da schwer hirnverletzte Patienten aus therapeutischen Gründen in tiefer Sedierung gehalten werden, sind bis Beginn einer Hirntoddiagnostik bei diesen Patienten meist tagelange „Abklingphasen“ ohne Sedierung und ohne Schmerzmedikation erforderlich. Falls der Patient nicht hirntot ist, erleidet er in dieser Phase potentiell Schmerzen. Es ist aus Sicht vieler Ärzte unethisch einen Menschen dem Risiko von Schmerzen auszusetzen (Nämlich dann, wenn er schwerste Hirnschäden hat, aber nicht hirntot ist. Dies stellt erst die Hirntoddiagnostik fest. Diese ist aber erst möglich, wenn jegliche Analgosedierung abgeklungen ist), von dem nicht bekannt ist, dass er sich positiv zu einer potentiellen Organspende nach Feststellung seines Hirntods positioniert hat. Falls eine Zustimmung zur Organspende vor Absetzen der sedierenden Medikation vorliegt/anzunehmen ist, postulieren viele Ärzte, dass der potentielle Spender damit auch dem Risiko zugestimmt hat, dass bei ihm ohne Vorliegen des Hirntods sedierende und schmerzbekämpfende Medikamente abgesetzt werden, ausschließlich um eine Hirntoddiagnostik durchzuführen.  ‚

Sollte mit dem Gesetzentwurf die regelhafte Durchführung von Hirntoddiagnostik bei allen schwerst hirngeschädigten Patienten initiiert werden, so müsste dies offen im Gesetzestext formuliert werden. Die ethische und finanzielle Dimension (verlängerte Behandlungszeiten bei allen Patienten, Hirntoddiagnostik bei vielen Nicht-Organ-Spendern) dieses Paradigmenwechsels muss offen diskutiert werden.“

In dieser Stellungnahme wird eine geradezu paradoxe Situation aufgezeigt, ein Konfliktfeld das im Grunde nicht zu lösen ist.

Das Transplantationsgesetz kommt einer Lizenz zum Töten gleich

Da tote Organe nicht verpflanzt werden können, müssen Organe  dem lebenden Körper entnommen werden. Damit sich die Ärzte  nicht dem Vorwurf der Tötung ausgesetzt sehen, wurde der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt.

Mit dem juristischen Dilemma dieser zweckdienlichen Todesdefinition hatte sich kürzlich ein  Gericht in Würzburg zu befassen, bei der Entscheidung, einer hirntoten schwangeren Frau eine rechtliche Betreuung zur Seite zu stellen.  Normalerweise endet die Betreuung mit dem Tod. Da diese 29 jährige Frau jedoch definitiv nicht Tod war, sondern von der 11ten bis zur 32ten Schwangerschaftswoche als Intensivpatientin behandelt wurde, bis sie von einem gesunden Kind entbunden werden konnte, benötigte sie eine rechtliche Vertretung.

Sollte die Widerspruchslösung eingeführt werden, ist es Ärzten erlaubt sämtliche Organe, Knochen und Gewebe zu entnehmen. Man stelle sich das einmal bildlich vor:  Ihre noch zu Hause lebende Tochter oder Sohn erleidet einen Unfall. In der Klinik erklären Ihnen die Ärzte, dass eine schwere Hirnschädigung vorliegt. Bevor sie realisieren können was das bedeutet, werden sie mit der Frage zur Organspende konfrontiert. Wenn Ihr Kind noch keine 16 ist, haben Sie Glück, dann dürfen Sie als Mutter oder Vater entscheiden. Ist ihr Kind jedoch bereits älter, müssen Sie eine schriftliche Erklärung ihres Kindes vorlegen, aus der die Nichtbereitschaft zur Organspende hervorgeht.  Können Sie diese nicht vorlegen, und hat Ihr Kind Ihnen keine Vorsorgevollmacht in allen Belangen ausgestellt, haben die Ärzte freie Hand die weitere Behandlung Ihres schwerverletzten Kindes in Richtung Hirntoddiagnose zu lancieren. Nur wenn Ihnen eine Legitimation zur rechtlichen Vertretung ihres erwachsenen Kindes vorliegt, könnten sie eine Multiorganentnahme verhindern, indem sie die Zustimmung zur Hirntoddiagnostik verweigern. Ohne Hirntoddiagnose keine Organentnahme.

Auch in meiner Familie kommt dieses Thema immer wieder auf. Mein 21igjähriger Enkel hatte im Sommer einen Unfall mit dem Motorrad, bei dem er zum Glück nur leichte Schürfwunden davon trug. Ich habe daraufhin seinen Organspendeausweis gleich mal eingezogen und ihn gefragt, ob er wisse, was das bedeuten könnte, wenn er jetzt mit schweren Verletzungen in der Klinik läge. Wie jeder andere sozial engagierte Mensch will er anderen helfen. Mit einem schweren Hirnschaden möchte er lieber nicht weiter leben, und was mit seinen Organen passiert wenn er Tod ist, wäre ihm egal. So argumentieren junge Leute, weil sie  keine Ahnung haben, auf was sie sich hier einlassen und auch ganz bewusst getäuscht werden.  So wie die Aufklärung stattfindet, geht der Bürger davon aus, dass die Organe nach seinem Tod entnommen werden.  Die etwas aufgeklärteren wissen immerhin, dass der Hirntod gemeint ist. Niemand weiß jedoch wirklich, was der Mensch noch fühlt und mitbekommt, während er scheinbar bewusstlos daliegt. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen aufwachen, die für Tod erklärt wurden. Von diesen wissen wir, dass Sie eine Wahrnehmung hatten. Bekannt ist auch, dass der Blutdruck steigt und es andere Stresszeichen gibt, unmittelbar vor der Organentnahme. Manche bäumen sich regelrecht auf und geben Laute von sich. Anstatt solche Reaktionen als Zeichen für eine vorhandene Wahrnehmung zu sehen, werden sie Reflexen zugeschrieben. Um sicher zu gehen, dass der angeblich Tote nicht doch noch etwas spürt, erhält er vor der Explantation eine Narkose- und Schmerzmittel.
Jedenfalls hatte ich nach dem Schrecken durch den Unfall meines Enkels,  große Mühe die Bilder aus dem Kopf zu bekommen, die von einem Menschen übrig bleiben, wenn alles herausgeschnitten ist, was für andere  brauchbar wäre. Noch haarsträubender finde ich die Vorstellung, dass die Seele dieses Menschen mit tiefen Verletzungen und fehlenden Teilen im Jenseits ankommt.  Denn Teile seiner Seele wurden ihm herausgerissen und auf diese muss er solange verzichten, bis seine Organe, die in anderen weiterleben, absterben bzw. abgestoßen werden.  Auch wenn diese Zusammenhänge mit irdischen Augen nicht gesehen werden können, wäre jeder gut beraten, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass unser materieller Körper spiegelbildlich in Form eines Energiekörpers (Seele, Matrix, energetisches Feld – wie auch immer genannt) existiert. Geht man davon aus, dass der Mensch als Person (mit der Wahrnehmung der Person die er ist) den körperlichen Tod überlebt, erhält auch die Frage nach der Lebensrettung ein anderes Gesicht.

Wer für Organspende stimmt geht ein hohes Risiko ein, welches weit über das irdische Leben hinausgeht.   Wer für die Widerspruchslösung stimmt, setzt einen Großteil der Bevölkerung diesem Risiko aus. Denn das eigentliche Ziel, welches die Initiatoren der Widerspruchslösung verfolgen, ist doch fraglos die Erhöhung der Transplantationsrate. Die Angehörigen mit ihren Bedenken und Ängsten will man bei der Frage nach den Organen ausschalten.  Wohlwissend, dass die wenigsten Bürger widersprechen werden, zumal sie über die Konsequenzen nicht informiert sind.

Weitere (ganz irdische) Gründe die gegen die Widerspruchslösung sprechen, beschreibt der bekannte Jurist und Journalist, Heribert Prantl in der SZ

Widerspruch der Widerspruchslösung
Der Mensch gehört nicht dem Staat,..

Mit der herzlichen Bitte um Beachtung

Adelheid von Stösser

Hier mein Schreiben  an die Abgeordneten vom 12.01.2020:  Organspende-Appell an MdB-200112


Längst nicht jeder Transplantierte überlebt die Operation, oder wenn nur als erneut Sterbender, wie in diesem Beitrag zu lesen.

Siehe auch,  Organspende: Niemand würde zustimmen, wenn er wüsste worauf er sich einlässt.